Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Fall Schenitz

Der Fall Hans Schenitz: kein „Justizmord“

Texte zur Ausstellung im Kühlen Brunnen

von

Heiner Lück

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäische, Deutsche und Sächsische Rechtsgeschichte
an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Wappen der Martin-Luther-Universität

Wappen der Martin-Luther-Universität

Halle an der Saale (2006)

Vorbemerkung

Zu den spektakulärsten Ereignissen während der Amtszeit Kardinal Albrechts als Erzbischof von Magdeburg (1513-1545) sowie seines Wirkens in und für Halle gehörte der Prozeß gegen seinen einstigen Günstling, Kammerdiener und Baumeister Hans Schenitz (1499-1535), welcher mit der Hinrichtung des Schenitz am Giebichensteiner Galgen endete. Die sich daran anschließende Polemik, beginnend mit Hansens Bruder Anton Schenitz, qualifizierte dieses Vorgehen Albrechts als unrechtmäßigen Willkürakt. Die ahistorische Bewertung als „Justizmord“ (den Begriff gibt es erst seit dem 18. Jh.) ist auch heute noch präsent. Eine exakte wissenschaftliche Aufarbeitung fehlt noch immer.


Tafel I

„Zu fromm, willfährig und zu viel Vertrauen Schwächt, kränkt und bringt viel Rauen!“
(Wappenspruch derer von Schenitz)

Die Familie

Hans Schenitz stammte aus einer alten böhmischen Adelsfamilie, die in der Mitte des 15. Jh. nach Sachsen gekommen war und sich hier als wohlhabende Kaufmannsfamilie etablierte. Sein Vater war seit spätestens 1481 ein angesehener Bürger und Pfänner (Patrizier) in Halle, wo er mehrfach das hohe Amt des Oberbornmeisters innehatte. Die Verankerung in der wohlhabenden hallischen Pfännerschaft einerseits und die Verbindung zur Leipziger Kaufmannschaft durch Heirat andererseits prägten den sozialen Hintergrund des Hans Schenitz.

Gregor von Schenitz (†1495)
um 1440 Wechsel von Böhmen nach Sachsen
1456 in Chemnitz
∞ Anna Harlmanns von der Leschnitz (†1497)

Martin Schenitz
Kaufmann in Leipzig;
seit 1481 Bürger und Pfänner zu Halle;


mehrfach Oberbornmeister;
∞ (I) Walpurga Bauwins
∞ (II) Katharina von Drachstedt
∞ (III) Margaretha Prellwitz
       Tochter des Pfänners
       Laurentius Prellwitz
                   │
Hans Schenitz (1499-1535)                                                                  
Kaufmann
  ∞ Magdalena Walther
      Tochter des Leipziger Kaufmanns
      Hieronymus Walther
                   │
                 Carl
                 Albrecht
                 Victor (†1572)
                 Magdalena
                  ∞ Andreas Kresse,
                      Pfänner zu Halle
                      (†1591)

Johann Schenitz (†1509)
Syndicus in Halle:
1492 Prof. an der
Juristenfakultät Leipzig
∞ Cordula Prellwitz
   Tochter des Pfänners
   Laurentius Prellwitz
   (†1504)

Anton Schenitz (†1589)

Hans Schenitz (Schantz, später auch Schönitz)) wurde 1499 als Sproß einer kurz zuvor in Halle ansässig gewordenen und schnell in das Patriziat aufgestiegenen Familie geboren. Spätestens seit 1481 war sein Vater, Martin Schenitz, Bürger der Stadt Halle und Angehöriger der Pfännerschaft. Er besaß zahlreiche gewinnträchtige Solgüter (33 Pfannen).


Martin Schenitz heiratete in die hallische Pfännerfamlie Prellwitz ein, welche das Haus „Zum Goldenen Schlößchen“ (heute Schmeerstr. 2) besaß. Vielleicht handelt es sich um das Geburtshaus von Hans Schenitz’ Mutter.


Unter Rückgriff auf den Adelsstand der Vorfahren wurde Hans und Anton Schenitz von Kaiser Karl V. (1519-1558) unter dem 15. Juli 1532 das Adelsprivileg (neu) verliehen. Das Wappen zeigt einen einschwänzigen, gold-blau geteilten Löwen nach rechts in einem blau und gold schräglinksgeteilten Schild, in der rechten Pranke eine goldene Krone haltend. Letztere soll im Unterschied zu dem alten Wappen 1532 hinzugefügt worden sein.


Tafel II

„… zu unserm camerdiener und bawmeister zu Halle…“
(Aus: Bestallung des Hans Schenitz vom 5. Januar 1531)

Die Karriere

Hans Schenitz trat in die Fußstapfen des Vaters und wurde Kaufmann. Als solcher hatte er beste Voraussetzungen, um in die Dienste von Kardinal Albrecht, der an der Beschaffung von Luxusgütern und Geld sowie der Durchführung groß angelegter Baupläne für Halle interessiert war, zu treten.

So war Schenitz seit spätestens 1520 mit Geschäften für Albrecht befaßt. 1528 ist er zum „Hofdiener“; 1531 (erneut) zum „camerdiener und bawmeister“ bestellt worden. Der Briefwechsel zwischen Albrecht und Schenitz läßt auf ein außergewöhnlich vertrauliches Verhältnis schließen. Dazu gehörte auch das von Albrecht instruierte Auftreten des Schenitz gegenüber den erzstiftischen Ständen in Rechnungslegungssachen. Die Korrespondenz offenbart unlautere Finanzmanipulationen, von denen beide Beteiligte, der Kardinal und sein Diener, gewußt haben müssen.


Als „camerdiener und bawmeister“ war Hans Schenitz u. a. für die Beschaffung der Finanzen und die Durchführung der Bauvorhaben Albrechts verantwortlich. Zu den von Schenitz mit initiierten und mitverantworteten öffentlichen Bauten gehörten u. a. der „newe baw“ (die spätere sog. Neue Residenz) und die Marktkirche.


Tafel III

„…das bette aus dem Niderlande…“
(Aus einem Brief Albrechts an Schenitz vom 1. Mai 1532)

Der Waren- und Geldbeschaffer

Auf Grund der Strafakte von 1535 und der Streitschriften von 1538/1539 lassen sich zahlreiche Geschäfte, welche Schenitz für Albrecht und sich selbst tätigte, rekonstruieren. Im wesentlichen ging es um den Einkauf wertvoller Waren für die erzbischöfliche Hofhaltung und die Beschaffung von Geld durch Darlehensgeschäfte. Albrecht quittierte im Vertrauen auf seinen Diener unregelmäßig und pauschal. Auf die Abrechnung einzelner spezifizierter Positionen wurde großzügig verzichtet. Aus dieser streckenweise unkonkreten, vielleicht auch teilweise manipulierten, Aktenlage wurden später Vorwürfe der Veruntreuung gegen Schenitz abgeleitet.

Von besonderem Gewicht waren die Geschäfte mit dem Leipziger Kaufmann Hieronymus Walther (Schenitz’ Schwiegervater) und dem Handelshaus Pimmel in Augsburg. Auch Sebastian von Jessen, der uneheliche Sohn Kurfürst Friedrichs III., des Weisen, von Sachsen gehörte zu den Geschäftspartnern. Allein zwischen 1521 und 1526 hatte Schenitz mehr als 46.000 Gulden erhalten. Weitere einzelne Quittungen dieser Art aus den 1530er Jahren lauten auf riesige fünfstellige Summen.

Schenitz kaufte für seinen Auftraggeber in den Niederlanden sowie in Nürnberg, Augsburg, Frankfurt am Main, Aschaffenburg, Breslau, Bingen, Memmingen, Naumburg, Zerbst und Leipzig wertvolle Waren („… das bette aus dem Niderlande… Auch wie es mit der Tapezerey ein gestalt hat…“) und Kunstgegenstände ein. Parallel dazu tätigte er zahlreiche Geldgeschäfte, worunter im wesentlichen Darlehens- und Kreditverträge verstanden werden müssen. Durch teilweise überhöhte Zinssätze brachten die Darlehensgeschäfte erheblichen Gewinn, dessen tatsächlicher Aufteilungsmodus zwischen Schenitz und Albrecht nicht mehr rekonstruiert werden kann.

Unter den Orten, an denen Schenitz im Auftrag des Kardinals Geschäfte betrieb, gehörte auch die flandrische Handelsmetropole Antwerpen. Albrecht und Schenitz waren sich dessen bewußt, daß sie über diese Transaktionen nahezu schicksalhaft miteinander verbunden waren: „… wir sind beide so tieff hinein, wir müssen mit einander hinaus oder zu spott werden…“ (Albrecht an Schenitz am 9. Januar 1532).


Tafel IV

„IM. 15 DIS. HAVS. HAT. HANS. V. SCHENITZ. GEBAVET. 31. IAR.“
(Hausinschrift Markt 16, Nordseite)

Der Stadtpalast

Die herausragende Position, welche Hans Schenitz am Hofe Kardinal Albrechts innehatte, manifestierte sich in der Errichtung eines repräsentativ angelegten Stadtpalastes für Wohn- und Wirtschaftszwecke. Schenitz hatte 1522 dieses Gelände, auf dem die verfallene Lampertikapelle stand, erworben. Zunächst bewohnte Schenitz das Haus Markt 16 (heute noch vorhanden). Es bildete den Ausgangspunkt für die weitere Bebauung der sich nach Norden anschließenden Flächen. Die Finanzierung des auffällig kostbaren Baus war später Gegenstand der Verhöre im Prozeß gegen Schenitz.


Es handelt sich um die heute noch gut sichtbare Anlage „Zum Kühlen Brunnen“, welche an der nördlichen Seite des Marktes/Ecke Kleinschmieden die Grundstücke Markt 15, 16, Kühler Brunnen 1, 2 und Gr. Nikolaistr. 2, Kleinschmieden 5 umfaßt. Die halbkreisförmigen „Welschen Giebel“ am Saalbau waren damals überaus moderne Elemente der italienischen Renaissance, die auch am hallischen Dom zu sehen sind.

Durch großzügige, überwiegend drei- bis viergeschossige Neubauten in Gestalt eines Wohnhofes, eines Küchenhauses, einer Galerie mit Festsaal, eines Torhauses, eines Arkadenbaus und eines Handelshofes (Seitenflügel an der heutigen Gasse „Kühler Brunnen“) entstand zwischen 1522 und 1532 das eindrucksvollste bürgerliche Bauensemble der Spätrenaissance in Halle.


Von auserlesenem (und vor allem kostenaufwendigem) Geschmack war die Innenausstattung der Privatgebäude, wovon bis heute originale Reste der Deckenvertäfelung (farbig, sternförmig, mit geschnitzten Rosetten) in den Obergeschossen zeugen. Der Festsaal hatte einen Fußboden aus glasierten Tonplatten in Weiß, Blau und Gelb. Nach der Hinrichtung seines Bauherrn fiel das Anwesen an Kardinal Albrecht, der es vertraglich 1541 wieder an die Familie abtrat. Im Jahre 1664 kaufte der Rat der Stadt Halle von den Erben der Familie Schenitz den „Kühlen Brunnen“.

Nach einer Volkssage wurden im „Kühlen Brunnen“ die Mätressen des Kardinals beherbergt. Durch einen unterirdischen Gang von und zu der Moritzburg soll der Kardinal ungesehen zum Ort der Begierde gelangt sein. Belege dafür gibt es nicht, sofern man nicht Reste einer Wandmalerei, einen jungen Mann und eine junge Dame darstellend, im zweiten Obergeschoß als solchen deuten will.


Tafel V

„… darüber ergienge weyther waß Recht were…“
(Aus Magdeburger Schöppenspruch 1535)

Der Prozeß

Der Prozeß gegen Schenitz begann mit dessen Verhaftung auf der Moritzburg am 6. September 1534. Es folgten die Verwahrung und mehrere Verhöre auf der Burg Giebichenstein. Die Verwandten und Anhänger („Freundschaft“) setzten sich für die Freilassung des Gefangenen ein. Beim Reichskammergericht erreichten sie unter dem 18. Februar 1535 sogar ein sog. Poenal-Mandat, welches die Freilassung zum Zwecke des Vorbringens entlastender Beweise (Rechnungslegung) anordnete. Über diese Entscheidung setzte sich Albrecht jedoch hinweg. Zu einer Rechnungslegung ist es nie gekommen.

Der Anlaß des Wandels von hoher Gunst zu tiefer Mißgunst bei Albrecht ist unklar. Vielleicht wollte Albrecht den Ständen des Erzstifts Magdeburg gegenüber, deren Ausschuß gerade in Halle tagte und auf die er bei der Erhebung neuer Steuern angewiesen war, ein Zeichen setzen. Durch seine immensen Geldbedürfnisse war Albrecht den Ständen gegenüber unter Druck geraten. In den Jahren zuvor konnte Schenitz die Stände im Auftrag des Kardinals bis zu einem gewissen Grad hinhalten.

Schenitz wurde auf die Burg Giebichenstein gebracht und dort in der „Silberkammer“ (nicht im Kerker) gefangen gehalten. Der Hauptmann der Burg Giebichenstein, Hans von Teuchern, verhörte Schenitz mehrfach. Ob der Gefangene auch gefoltert wurde, kann nicht belegt werden. Eine zentrale Rolle im Verfahren spielten dabei Inhalt und Verbleib der Geschäftsakten des Schenitz, welche dieser in seinem Haus (Kühler Brunnen) aufbewahrte. Die öffentliche Rechnungslegung hätte Schenitz möglicherweise entlasten können. Mit Sicherheit hätte sie aber auch seine Anhänger und seinen Dienstherrn, Kardinal Albrecht, belastet. Anton Schenitz, der Bruder des Hans, hatte die Akten außer Landes gebracht.

Für den Prozeß gegen Schenitz war das Landgericht Giebichenstein zuständig. Es war ein Gericht des Landesherrn, also Kardinal Albrechts als Erzbischof von Magdeburg. Zu seiner rechtlichen Absicherung holte Albrecht Rechtsbelehrungen ein, wie es im 16. Jh. üblich war. Der berühmte Wittenberger Rechtsprofessor Hieronymus Schurff (Rechtsbeistand Luthers), der Magdeburger Schöppenstuhl und die Juristenfakultät Frankfurt/Oder bestätigten Albrecht grundsätzlich sein entschlossenes rechtmäßiges Vorgehen gegen Schenitz. Am 30. Mai 1535 legte Schenitz auf dem Giebichenstein ein Geständnis auf alle vorformulierten Anklagepunkte (Artikel) ab, das er unterschrieb und siegelte. Das Gericht sprach in seiner Sitzung am 21. Juni 1535, zwischen 7 und 8 Uhr, unter freiem Himmel an der Burg Giebichenstein das Todesurteil über Hans Schenitz.

Schenitz wurde von den Räten Albrechts vorgeworfen, Gelder in Höhe von 50.000 Gulden zu seinem eigenen Vorteil dem Kardinal vorenthalten und eigenmächtig verwendet zu haben. Die Anklage zielte auf Diebstahl. Anzuwendende Rechtsgrundlage war der Sachsenspiegel (zwischen 1220 und 1235) in seiner im Jahre 1535 geltenden Form. Diese repräsentiert die gedruckte Ausgabe von Christoph Zobel (1. Auflage 1535). Die angedrohte Strafe war eindeutig: Den Dieb soll man hängen (Sachsenspiegel, Landrecht, Buch II, Artikel XIII). Zusätzlich wurde Schenitz zur Wiedergutmachung aller dem Kardinal zugefügten Schäden einschließlich Ersatz der Zinsen verurteilt. Um das zu erreichen, wurden die Schenitzschen Besitzungen zugunsten Albrechts konfisziert.


Tafel VI

„…Herr Richter, Jha, ich bekenne es vnd pin es gestendig…“
(Aus dem Notariatsinstrument vom 21. Juni 1535)

Die Hinrichtung

Der letzte Verfahrensabschnitt war nach einer formal abgehaltenen Gerichtssitzung mit alten überlieferten Ritualen und Dialogen unter freiem Himmel am Giebichenstein („endlicher Rechtstag“) die Vollstreckung des Todesurteils durch den Strang. Das Aufhängen am Galgen bewirkte den Verlust der Ehre des Hingerichteten. Albrecht weilte zum Zeitpunkt der Hinrichtung (21. Juni 1535) in Halberstadt und nahm in einem Brief vom 22. Juni 1535 dazu mit Genugtuung Stellung, hatte er doch intensiv und unter ganz persönlichem Einsatz das Verfahren und die Hinrichtung durch seine Räte vorbereiten lassen.


Auf Grund der noch wenig ausdifferenzierten Delikte der Unterschlagung, des Betruges und der Veruntreuung in ihrer Abgrenzung vom Diebstahl wurden die von Schenitz gestandenen Finanzmanipulationen dem Straftatbestand des Diebstahls zugeordnet. Darauf deutet auch die mehrfache Formulierung in den Akten hin, nach welcher Schenitz seinem Herrn etliche Gelder „abgestolen“ haben soll.

Während der Gerichtssitzung wurde Schenitz vom Landrichter dreimal gefragt, ob er das, was ihm Artikel für Artikel vorgetragen worden war und er in seinem schriftlichen Geständnis schon zugegeben hatte, gestehe. Schenitz bejahte das dreimal. Darauf hin wurde das Todesurteil gesprochen. Unmittelbar im Anschluß an diese Gerichtssitzung wurde Schenitz zum Galgen geführt und vom Henker „Hans von Berlin“ erhängt. Über den ordnungsgemäßen Verlauf der Gerichtsverhandlung und der Hinrichtung ist durch den hallischen Notar Wolfgang Kellner eine notarielle Urkunde („Notariatsinstrument“) errichtet worden.

Als Richtstätten kommen sowohl der „Große Galgenberg“ (heutiger „Galgenberg“) als auch der „Kleine Galgenberg“ (dicht daneben, nicht mehr erkennbar) in Frage. Eine eindeutige Lokalisierung ist bislang nicht gelungen. Der Leichnam soll noch monatelang am Galgen gehangen haben, was üblicherweise Teil dieser entehrenden Art der Todesstrafe war. Ein Gesuch der Familie, den Leichnam abnehmen zu dürfen, lehnte Albrecht ab. Vielmehr vergewisserte er sich, daß Schenitz noch am Galgen hänge. Beim Anblick durch die entsandten Bediensteten soll der Leichnam geblutet haben.

Drei Jahre nach der Hinrichtung des Hans Schenitz veröffentlichte Anton Schenitz seine Schrift „Wahrhaffiger bericht …“, in welchem der dem Kardinal vorwarf,  seinen Bruder Hans ohne Recht getötet und dessen Güter eingezogen zu haben. Darauf verteidigten die
Räte ihr und des Kardinals Handeln mit der (ebenso subjektiv gefärbten) Gegenschrift „Wahrhafftiger kegenbericht“ (1538). Darauf antwortete Anton Schenitz mit der „Notwehre auff das ertichte buch“ (1539). Auch Luther mischte sich in diese Auseinandersetzung ein, die in die Schrift „Wider den Bischof zu Magdeburg, Albrecht Kardinal“ (wohl Januar 1539) einmündete.


Tafel VII

„Den dieb soll man hengen“
(Sachsenspiegel, Landrecht, Buch II, Artikel XIII)

Die (?) Bewertung

Kurze Zeit nach der Hinrichtung setzte die öffentliche Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens gegen Schenitz ein. Am Anfang stand ein Brief Luthers an Albrecht vom 31. Juli 1535, in dem er dem Kardinal unlauteres Vorgehen vorwarf. Unter dem 5. November 1535 legte Anton Schenitz in einem Brief an Albrecht den Standpunkt der Familie dar. Luther schrieb am 12. Februar 1536 einen weiteren Brief an den Kardinal, in welchem er diesen auf das Schärfste angriff. Vor diesem Hintergrund entstanden auch die drei polemischen Druckschriften (1538/39) mit den unterschiedlichen Positionen zum Verfahren. Eine Bewertung und Einordnung des Geschehens ist schwierig. Dennoch soll hier die These gewagt werden:

DAS GERICHTSVERFAHREN GEGEN HANS SCHENITZ WAR WEDER EIN WILLKÜRLICHER UND NOCH EIN RECHTSMISSBRÄUCHLICHER AKT DES ERZBISCHOFS.

Diese Einschätzung beruht auf folgenden Argumenten:


1) Ein Territorialfürst des Reiches konnte die Auswahl der Mittel zur Lösung eines Rechtskonflikts weitgehend selbst bestimmen.


2) Die strikte Bindung des Fürsten an das geltende Recht im Sinne einer Allgemeinverbindlichkeit für alle Bewohner eines Territoriums ohne Ansehung ihres Standes und sozialen Einbindung gab es 1535 noch nicht.


3) Der gegen Albrecht erhobene Vorwurf, er hätte als Partei (Ankläger) und Richter (Gerichtsherr) in eigener Sache gehandelt, ist nicht schlagkräftig. Nicht das römische Recht bzw. Reichsrecht, welches ein solches Verbot in der Tat kannte, wurde auf den Fall Schenitz angewandt, sondern das sächsische Recht. Hier gab es eine solche Ausschließungsregel nicht.


4) Das Reich besaß zwar seit 1532 eine reichseinheitliche Strafprozeßordnung mit einigen materiell-rechtlichen Elementen (Constitutio Criminalis Carolina), doch hatten das Erzstift Magdeburg und andere Territorien des sächsischen Rechtskreises schon 1530 erklärt, daß sie bei ihrem angestammten Sachsenspiegelrecht bleiben würden.


5) Eine konkrete Vorschrift, auf deren Grundlage Schenitz verurteilt wurde, ist in der schriftlichen Überlieferung nicht zu finden. Vielmehr ist mehrfach von „Gewohnheit“ die Rede. Damit ist unzweifelhaft der Sachsenspiegel gemeint, ein zwischen 1220 und 1235 entstandenes Rechtsbuch, das freilich durch zeitgemäße Zusätze und Bearbeitungen bis zum frühen 16. Jh. weiterentwickelt wurde. Hier (Sachsenspiegel-Landrecht II, 13) ist eindeutig schriftlich fixiert, daß ein Dieb, der einen Diebstahl oberhalb einer bestimmten Wertgrenze begangen hatte, gehängt werden soll.

6) Verhaftung, Untersuchung, Geständnis, Gerichtsverfahren, Verurteilung und Hinrichtung wiesen keinerlei Fehler auf. Albrecht agierte im Fall Schenitz in Übereinstimmung mit dem 1534/35 im Erzstift Magdeburg geltenden Landrecht. Nicht der Mißbrauch des Rechts und der Justiz führte zum Tode des Schenitz, sondern der selbstbewußte Gebrauch des Rechts durch einen Fürsten des Reiches. Um sein politisches Gewicht und Ansehen im Territorium und im Reich zu behaupten, konnte Albrecht unter den hier nur verkürzt geschilderten Umständen so handeln wie er gehandelt hat.


7) Das Bild des „Justizmordes“ an Schenitz wurde von der preußisch-lutherischen Geschichtsschreibung gezeichnet und ist bis in unsere Tage präsent. Moralische und rechtliche Bewertungen, die sich an Kriterien und Maßstäben späterer Jahrhunderte orientieren, sind hier jedoch nicht sachgerecht und daher abzulehnen.


Literatur

Brecht, Martin/Kiefner, Hans: Albrecht von Mainz und die Hinrichtung seines Dieners Hans Schenitz, in: Luther-Jahrbuch 70 (2003), Göttingen 2004, S. 33-86.

Brecht, Martin: Erzbischof Albrecht und die Verurteilung seines Kämmerers Hans Schenitz 1535, in: Rockmann, Michael (Hg.): Ein „höchst stattliches Bauwerk“. Die Moritzburg in der hallischen Stadtgeschichte 1503-2003 (= Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte 5), Halle (Saale) 2005, S. 65-94.

Ders.: Erwerb und Finanzierung von Kunstwerken durch Erzbischof Albrecht von Mainz, in: Tacke, Andreas (Hg.): Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg (= Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg 1), Göttingen 2005, S. 391-398.

Lück, Heiner: Beginn, Verlauf und Ergebnisse des „Strafverfahrens“ im Gebiet des sächsischen Rechts (13. bis 16. Jahrhundert), in: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für Sachsen-Anahlt 21 (1998), S. 129-150.

Ders.: Hieronymus Schurff (1481-1554) - Mit dem Recht für das Leben, in: Wittenberger Lebensläufe im Umbruch der Reformation. Wittenberger Sonntagsvorlesungen. Evangelisches Predigerseminar, Wittenberg 2005, S. 52-74.

Ders.: Der Magdeburger Schöppenstuhl als Teil der Magdeburger Stadtverfassung, in: Matthias Puhle (Hg.): Hanse-Städte-Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500, Magdeburg 1996, S. 138-151.


Rüger, Reinhard: Der Kühlebrunnen und die anderen zum Stadtpalast des Hans von Schönitz gehörenden Gebäude in Halle. Baugeschichte und Denkmalpflege, in: Geschichtsmuseum der Stadt Halle (Hg.): Historische Beiträge 6, Halle (Saale) o. J. (1989), S. 58-82.

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