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Sachsenspiegel 5

fol. 57r (Lnr. 1-2)

Text:

Swer lenrecht kunnen wil der volge dis / buches lere. alrest sul wi merken / das der herschilt an deme kunige / begint. und indem sibendin lent doch habin di / leyen vorsten den sechstin schilt inden sibendin / bracht sint si der bischoue man wrdin. des er nicht / en was. Phaffen. kouflute. dorfere. wip. und al / le die rechtis darbin. odir unelich geborn sin. und / alle di nicht sin von ritters art. von vatir und von / eldir vatir di sullen len rechtes darben. Wel / ch herre doch diser eime liet gut. von deme habn / si len recht indeme gute. und en erbin das nicht / an ire kindere und darbin selbe der volge an einen / anderen herren. Von gezuge mag man si verlege / in len rechte. und urteil zu vindene. alle di des / herschildes darbin. ir herre aber von deme si len / recht habn. der mus iren gezug liden. und ir ur / teil und en mag siuffe nimande genuzcen Ab / zcwene man ein gut an sprechen gliche und ge / zug dar zu biten. ein derzu deme herschilde nicht / geborn si des gezug sal vor gen. der indeme her / schilde volkumen is. und iens si vor legit. / Welch man zu deme herschilde nicht C ii° / geborn is. der en mag nicht geweigern / gut zu liene deme der des herschildes darbet. und / en mag keinen sinen herren vor legen. ab he an / in volgen sal. dennoch he des herschildes nicht / en hat. Ab ein man volkumen an deme her / schilde von phaffen odir von wibe odir von / enne der des herschildes nicht en hat belent / wirt. deme lene en mag he nicht volgen / an einen anderen herren.

Übersetzung:

Viertes Buch, Kapitel I

Wer Lehenrecht kennen will, der folge der Lehre dieses Buches. Zu allererst müssen wir uns merken, daß die Heerschildordnung mit dem König beginnt und im siebten (Schild) endet. Jedoch haben die Laienfürsten den sechsten Schild in den siebten gebracht, indem sie Lehensmannen der Bischöfe geworden sind; das war vorher nicht so. Pfaffen, Kaufleute, Bauern, Frauen und alle, die rechtlos oder unehelicher Geburt sind, auch alle, die nicht von Ritters Art sind vom Vater und vom Großvater her, die sollen kein Lehenrecht haben. Leiht ein Herr dennoch einem solchen ein Gut, so hat dieser zwar (dem Herrn gegenüber) Lehenrecht an diesem Gut, er kann es aber nicht an seine Kinder vererben, und es fehlt ihm auch die Folge an einen anderen Herrn. Vom Zeugnis und von der Urteilsfindung im Lehensgericht kann man alle, die keinen Heerschild haben, ausschließen, ihr Herr jedoch, von dem sie Lehenrecht haben, muß sich ihr Zeugnis und Urteil gefallen lassen, kann dieses aber gegen andere nicht benutzen. Wenn zwei Lehensmannen gleiche Ansprüche auf ein Gut erheben und Zeugen dafür aufbieten, und ist einer nicht zum Heerschild geboren, der andere aber voll lehensfähig, so soll dessen Zeuge vorgehen, der im Heerschild vollkommen ist, der Zeuge des anderen ist jedoch abzuweisen. Kapitel II. Ein Lehensmann, der zum Heerschild nicht geboren ist, kann sich nicht weigern, demjenigen ein Gut zu leihen, der (gleichfalls) keinen Heerschild hat, auch kann er keinen als seinen Herrn zurückweisen, wenn er an diesen folgen soll, auch wenn dieser keinen Heerschild hat. Wenn ein Mann, der am Heerschild vollkommen ist, von Pfaffen oder von Frauen oder (sonst) von einem, der keinen Heerschild hat, belehnt wird, so kann er mit diesem Lehen nicht an einen anderen Herren folgen.

Beschreibung:

1. Bildstreifen

Die Seite stellt den Beginn des zweiten großen Teiles des Sachsenspiegels - des Lehenrechts - dar. Da das voranstehende Landrecht in drei Bücher untergliedert ist, erscheint auf den Vorderseiten ab fol. 57r oben in der Mitte die rote Kennzeichnung "IIII" (= 4). Das Lehenrecht wird also im Dresdener Sachsenspiegel als 4. Buch gedacht, was auch deutlich aus der rubrizierten Überschrift ("liber quartus" = viertes Buch) hervorgeht. Es beginnt mit dem Hinweis auf den Inhalt dieses Teiles und der Erläuterung der Heerschildordnung. Dabei handelt es sich um ein Modell, mit dem die Hierarchie und die Abhängigkeit der verschiedenen Lehensherren und deren Lehensmannen verdeutlicht wird. Die goldene, rot konturierte Initiale "S" verknüpft den 1. Bildstreifen mit dem Textanfang des Lehenrechts. Der Bildstreifen ist mit einer Figurengruppe, den sitzenden König und einen vor ihm stehenden Mann in demutsvoller Haltung darstellend, sowie mit sieben Wappenschilden in zwei Reihen ausgefüllt. Der König mit goldenem Gewand, Lilienkrone und Lilienzepter weist belehrend auf den adeligen Mann. Der Text daneben sagt aus, daß derjenige, der Lehenrecht kennenlernen will, diesem Buch folgen soll.Die Wappenfolge in der linken Bildhälfte ist von rechts nach links in der ersten Reihe und von links nach rechts in der zweiten Reihe zu lesen. Der erste Heerschild (schwarzer Reichsadler auf goldenem Grund) kommt dem König zu. Der zweite Heerschild gehört den Bischöfen (Frontalansicht eines mit Mitra und rotem Pontifikalgewand gekennzeichneten Bischofs im Brustbild auf goldenem Grund). Die Tingierung der Mitra mit Silber (?) ist leider ausgebrochen. Nach dem Text gehört der dritte Heerschild den Laienfürsten, d. h. den weltlichen Fürsten, seitdem sie der Bischöfe Mannen geworden sind. Für die Laienfürsten steht der Wappenschild der Markgrafen von Meißen (schwarzer Löwe auf goldenem Grund). Die zweite Schildreihe beginnt mit dem Wappen der Meinheringer (schwarzes Andreaskreuz auf goldenem Grund), welche Burggrafen von Meißen waren. Rechts daneben ist der Schild der Herren von Colditz (halber schwarzer Löwe über zwei schrägen schwarzen Balken auf goldenem Grund) zu sehen. Das siebenfach geteilte Wappen mit den vier roten Balken konnte bislang nicht gedeutet werden. Bemerkenswert ist der nur skizzenhaft angedeutete 7. Heerschild, von welchem nur die obere Hälfte erscheint. Er ist vom Verfasser des Sachsenspiegels wohl angenommen worden, um die Heerschildordnung mit der häufig im Rechtsbuch auftauchenden Zahl "7" (7 Welten, 7 Verwandtschaftsgrade, 7 Kurfürsten) in Übereinstimmung zu bringen.

2. Bildstreifen

Der 2. Bildstreifen ist durch einen kräftigen roten Balken deutlich in zwei Teile geteilt. Die linke Hälfte verweist die Darstellung mit einem roten "P" in den daneben stehenden Text. Dargestellt sind (von links nach rechts): ein Bauer (Bauerntracht), eine Frau (Schleier), ein Geistlicher (Tonsur), ein Kaufmann (Münze in der Hand) sowie eine weitere Figur mit verschränkten Armen. Der Text gibt darüber Auskunft, daß es sich um jene Personen handelt, die nicht unter das Lehenrecht fallen. Demzufolge verweigert der Mann mit verschränkten Armen und abgewandtem Kopf die Belehnung. Die rechte Bildhälfte ist durch das blaue "W" dem Text zuzuordnen. Man sieht einen sitzenden Lehensherrn (erkennbar am grünen Gewand und dem goldenen, rot konturierten Schapel), welcher einem Bauern entgegen der oben illustrierten Regel ein Lehen gibt. Links von dem letzteren steht offenbar dessen Kind mit Redegestus und leicht nach unten geneigtem Kopf. Der Sohn soll wohl eine gewisse Traurigkeit verdeutlichen, da er das Lehen seines Vaters - so nach dem daneben stehenden Text - nicht übernehmen kann.

3. Bildstreifen

Die Verbindung mit dem Text wird durch ein grau-blaues "V" hergestellt. Das Bild will eine relativ abstrakte Textstelle illustrieren. Man sieht in der linken Bildhälfte zwei Bauern mit Verweigerungsgestus (verschränkte Arme). Aus den anderen Bilderhandschriften ist zu ersehen, daß es um die Lehenserneuerung geht, um die die ganz linke Figur den Herrn bittet. Im rechten Teil schwören vier Leute auf ein Reliquienkästchen. Auch diese Darstellung ist im Verhältnis zum Text unscharf. Gezeigt werden soll, daß der Lehensherr zwei lehensunfähige Bauern in einem Lehenrechtsstreit zum Zeugnis (Eid) aufbietet und der Gegner dieses Zeugnis verhindert ("verlegt").

4. Bildstreifen

Der 4. Bildstreifen ist wieder durch einen roten Balken deutlich in zwei separate Hälften geteilt, welche auch eigene Initialen ("A", "W" - jeweils in Gold, rot konturiert) als Zuordnungmerkmale aufweisen. Die linke Bildhälfte zeigt den Streit um ein Lehen, das durch Halme in einem Oval dargestellt ist. Beide Männer zeigen auf das Lehen, womit sie ihren Besitzanspruch darauf zum Ausdruck bringen. Nach dem Text hat in einem solchen Fall derjenige ein stärkeres Recht, der in seinem Heerschild "vollkommen" ist, während der Konkurrent, der "zu deme herschilde nicht geborn" ist, die schlechtere Rechtsposition hat. Der Bessergestellte ist hier mit einem Schild gekennzeichnet. In der rechten Bildhälfte ist der Abschluß des Lehensvertrages zwischen Heerschildlosen dargestellt. Die Gewänder und Beinkleider weisen die beiden Figuren als Bauern aus. Sie sind nach Inhalt des zweiten Bildstreifens und des dazugehörigen Textes lehensunfähig und können sich daher auch nicht weigern, sich gegenseitig mit Lehen auszustatten.

5. Bildstreifen

Schließlich wird der 5. Bildstreifen mit der Initiale "A" in Rot dem letzten Textteil dieser Seite zugeordnet. In der linken Bildhälfte sind eine sitzende Frau (Schleier) und ein sitzender Geistlicher (Tonsur) zu erkennen. Ihnen gegenüber kniet ein Mann, welcher einen Heerschild innehat, d. h. ritterlichen Standes ist (erkennbar an dem nicht ausgemalten Schild). Er legt seine Hände in die Hände der Frau und des Geistlichen, die hier als Verfügungsberechtigte über das Lehen dargestellt sind. Die Geste ist als Angebot der Mannschaft zu deuten. Der rechte Teil versinnbildlicht das Ersuchen des Belehnten bei einem anderen Lehensherrn (sitzend, grünes Gewand, goldenes, rot konturiertes Schapel), das Lehen zu erneuern. Der letztere verweigert aber diese Erneuerung (verschränkte Arme, abgewandtes Gesicht).

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